Weg Skulptur

date: 2000
place: temporary installation Johanniterkirche Feldkirch, Austria
material: plaster
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Ich möchte nach der Idee von Caroline Ramersdorfer, über den Weg sprechen, der aus dem Innenraum in den Außenraum führt, oder aus der Höhle in eine andere Welt, aber auch wieder zurück und zwar auf verschiedenen Ebenen, sowohl real als auch symbolisch. Die simple Ebene ist, dass in der Höhle jemand aufsteht. und einen Weg nach außen sucht und den einmal gemachten Schritt einfach weitergeht, ohne zu wissen, zu welchem Ende und Ziel.
Die zweite Ebene spielt sich im Kopf ab: Der Weg beginnt mit dem Entschluss, sich auf den Weg zu machen, weil die Angst vor dem ewig Gleichen vorantreibt oder weil ein Impuls der Neugier über die Begrenzung hinaus drängt oder weil nach unendlichem Warten ein Wille sich aufbäumt, um eben diesem ewig Gleichbleibenden, Unveränderlichen zu entgehen. Entscheidend ist der Aufbruch.
Was das mit Caroline Ramersdorfers Fragmenten, zum Labyrinth geordnet, zu tun hat?
Caroline Ramersdorfer konstruiert mit einfachen bildhauerischen Mitteln einen Weg, indem sie größere und kleinere Gipsfragmente so anordnet dass sie ein verschlungenes Wegesystem baut, damit eine ständige Möglichkeit zur Entscheidung anbietet. Der Weg konstruiert sich aus den Zwischenräumen, die, von oben betrachtet, eine lineare Struktur zwischen den Gipsfragmenten ergeben.
Sie definieren somit eine gedachte, nicht begangene Spur, zumindest nicht mit den Füßen begangen. Der Weg spielt sich über das Schauen im Kopf ab. Was sichtbar ist, wirkt wie ein Irrgarten, in den man sich hineinbewegt ohne zu wissen, ob und wo man herauskommt. Es fehlen Sicherheiten, dass es ein Ziel gibt, einen Ausweg.
Die hier gezeigten Bruchstücke ermöglichen nicht nur einen Weg; wenn verschiedene Einstiege möglich sind, gibt es auch entsprechende Ausgang es sei denn, alles sei auf einen einzigen Ausgang, damit auch auf Verengung zugeschnitten. Caroline Ramersdorfer bietet also erst Eingänge in einen bestimmten Innenraum und eröffnet auch wieder Ausstiege. Jedoch: Dazwischen liegt Suche: Suche nach dem kürzesten Weg, dem unbeschwerlichsten, dem geeignetsten zu einem definierten oder auch zu einem völlig offenen, unbekannten Ziel hin.
Ich kehre zurück zum anfangs zitierten Gleichnis und meine, dass der, der aufbrach und sich auf den Weg machte, auch auf die Suche ging nach Wirklichkeit, nach Wahrheit. Dabei entdeckte er, dass es eben nicht nur einen Weg zu Wirklichkeit und Wahrheit gibt; und so wie die Wege dorthin äußerst unterschiedlich sein können, so sind auch die Ausgänge und die sich an ihrem Übertritt öffnenden Wirklichkeits- und Wahrheitsfelder äußerst verschieden
Noch eines ist hier, in dieser Kirche, im Zusammenhang mit Weg interessant: Es gibt eine Stelle im Neuen Testament, wo einer von sich sagt, er sei der Weg, die Wahrheit: und das Leben. Die Metapher des Weges, des suchenden Durchschreitens des Unbekannten nach einem ebenso unbekannten Ziel hin wird auch hier deutlich. Doch sowohl in diesem Bibelzitat wie auch im Höhlengleichnis steht auch die Aufforderung zum Vertrauen in das jeweils erkannte Wegstück, in die jeweils erfahrbare und erfahrene Wirklichkeit. Im Übrigen ist das Motiv des Lahyrinthes älter als das des Höhlengleichnisses und es hat zwei grundlegende Bedeutungen:
Es ist zum einen Versteck Möglichkeit des Absentierens – ich erinnere an den Minotaurus – zum anderen aber ein Sinnbild für unsere Welt, wobei die verschlungenen Wege in ihr nur nach langer Suche, manchmal auch gar nicht ins Zentrum und dann auch wieder hinaus führen. Dem Irrweg bleibt genügend Platz.
In der Gedankenwelt des Mittelalters wird das Labyrinth zum Pilgerweg des Lebens. Doch dabei geht es nicht: um einen Ausweg, sondern um einen Weg ins Zentrum, und dieses Zentrum ist allein das Transzendente, die absolute Idee der Welt, die Gottheit. Auf dem Weg zu diesem Zentrum hin tut sich Schritt um Schritt Erkenntnis auf, die nicht unmittelbar und in einer Richtung geschieht – es findet kein Durchlauf vom Eingang über die Mitte zum Ausgang statt – sondern sie geschieht auch in der Situation des Anstehens, des Umkehren-müssens, der Erkenntnis von Ausweglosigkeit oder Verlust der Mitte. Für den, der sich auf den Weg macht, ist ebenso nichts entschieden wie für den, der in der Höhle sitzen bleibt. Aber für den Aufbrechenden ändert sich plötzlich die Perspektive, öffnen sich Optionen – wenn auch nie mit der Garantie für Verwirklichung. Sich auf den Weg machen bedeutet daher auch, einen Standpunkt zu verlassen – physisch und gedanklich –, sich der Unsicherheit auszusetzen. jedoch im Fortschreiten von der gehaltenen Position in der Höhle und im Durchdringen der Feuerwand liegen ein grundsätzlicher existenzieller Wendepunkt und die Summe aller Chancen der Wegwahl.
ln dem von Ramersdorfer aufgebauten Labyrinth gibt es keine Feuermauer, die zu überwinden wäre. Aber es gilt, sich auf das, was sich zeigt einzulassen, um zu erfahren, was sich nicht zeigen lässt. Die Fragmente von Caroline Ramersdorfer bilden – wenn ich das noch einmal zusammenfassen darf – einen Raum, der ein Außen und Innen hat, der beschreitbar wird in seiner Struktur, aber gerade im Zusammenhang mit dem Höhlengleichnis Platons sich zum Weg-Gleichnis wandelt, das Durchschreitbare signalisiert und gleichzeitig auch zeigt, dass es eben nicht nur eine Wirklichkeit oder eben nur einen Weg gibt. Jeder sucht seinen Weg – und manchmal finden viele den gleichen, zumindest für ein gutes Stück, Dann entstehen jene ausgetretenen Bahnen, die den Blick verwehren auf jene Bereiche, die eben auch möglich würden. Ramersdorfers Weg – Skulptur ist ein Angebot unter vielen anderen möglichen, um über Wege nachzudenken – Wege, die nach innen führen, in die geistige Erkenntnis, die aber auch Spuren legen ins Unbekannte und damit Neues, neue Wirklichkeiten im platonischen Sinn ermöglichen.

Vernissage-Rede von Mag. Albert Ruetz
Kulturreferent der Stadt Feldkirch